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P.Konlechner & P.Kubelka: Propaganda und Gegenpropaganda im Film 1933-1945

Posted By: slindagor
P.Konlechner & P.Kubelka: Propaganda und Gegenpropaganda im Film 1933-1945

P.Konlechner & P.Kubelka: Propaganda und Gegenpropaganda im Film 1933-1945
Österreichisches Filmmuseum | ISBN: ? | ASIN: B0000E7KZJ | 1972 | PDF (OCR) | 120 pages | 25 Mb

Bombardiert die Deutschen noch und noch!

Alle haben geheuchelt, Fakten geklittert und Emotionen geschürt, voran die Deutschen. So das Ergebnis einer Dokumentarfilmschau, die das Wiener Österreichische Filmmuseum unter dem Titel Propaganda und Gegenpropaganda im Film 1933-1945" mit 88 Filmen aus den Archiven der einstigen Kriegsgegner jetzt gezeigt hat.


Jede Propaganda", befahl Adolf Hitler, "hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt."

Mit primitiven Produktionen über deutsche Weihnachtsfeiern, Autobahnen, Frontsiege, über den deutschen Wald und "Die englische Krankheit" (Filmtitel) gehorchten deutsche Filmleute der Jahre 1933 bis 1945 ihrem Führer aufs Wort – was wirklich kein Wunder war.

Mit sentimentalen Durchhalte-Filmen ("The First Days"), hämischen Zeichen-Tricks und markigen Phrasen ("Bombardiert den Feind noch und noch und noch und noch, bis er genug hat!") nahmen sich jedoch auch Hitlers demokratische Gegner aus England und den USA in Kriegszeiten die Freiheit, ihre Bürger auf beschränktem Niveau zu manipulieren – und das ist hierzulande weithin unbekannt geblieben.

Denn die Kriegsgegner hielten die Propaganda-Traktate in ihren Archiven unter Verschluß. Ein Vergleich alliierter und deutscher Beeinflussungstechniken im Film war kaum möglich.

Daß er jetzt dennoch stattgefunden hat, ist ein Verdienst des Österreichischen Filmmuseums. Seine Kuratoren Peter Konlechner und Peter Kubelka holten die "Propaganda und Gegenpropaganda im Film 1933-1945" in 88 Dokumentar-Beispielen aus neun Sammlungen nach Wien und spielten sie in 26 ausverkauften Vorstellungen.

Noch einmal kehrte – im Film "Ein Volk, ein Reich, ein Führer" (1938) – die "Ostmark" heim ins Reich, wurde "Der Fluch des Hakenkreuzes" (USA, 1940) beschworen, der "Sieg im Westen" (Deutschland, 1941) gefeiert und "The Battle of Russia" (USA, 1944) auf deutsche Kosten geschlagen.

Noch einmal grätschten, im Film "Gesunde Frau – Gesundes Volk" (1938), deutsche Mädels gebärfroh im Sonnenglast und sprangen dann nackig ins Meer, exerzierte der Regisseur Alfred Weidenmann für die Reichsjugendführung die HJ-"Soldaten von morgen" (1941). "Blutzeugen" der Nazibewegung wurden in eine "deutsche Unsterblichkeit" gerufen ("Ewige Wache", 1936), und der Führer der deutschen Beamtenschaft fuhr ernst in die Grube – um Erz zu fördern für den Einband einer Prachtausgabe von "Mein Kampf" ("Das Buch der Deutschen", 1936).

Die Wiener sahen eine beispiellose Anthologie versuchter Publikumsverdummung. Auf wogende Kornfelder als Bildsymbol der Bodenständigkeit mochte kaum ein Dokumentarist jener Jahre verzichten, und alle haben sie Musik und Wort mißbraucht, um den kritischen Verstand zu täuschen.

Doch da die Filmdokumente – vom Veranstalter zu Kontrastprogrammen gebündelt – post festum ihre einst gefährliche Suggestionskraft eingebüßt haben, standen Wirkungsmechanik, cinéastische Qualität, Taktik und Agitationsziele der Kino-Propaganda bald im Vordergrund des Publikumsinteresses.

Die Nazis, so zeigte es sich, hatten im Propaganda-Krieg noch den leichtesten Stand. Anders als die Amerikaner, die in einer siebenteiligen Dokumentarfilm-Serie ihren Soldaten mühsam erläutern mußten, "Warum wir kämpfen" ("Why We Fight", 1943 bis 1945), konnten sie sich darauf konzentrieren, ihren Volksgenossen Erfolgserlebnisse anzudienen.

Deutsche Kameramänner meldeten nur Siege. Beispielsweise über die Arbeitslosigkeit der Weimarer Zeit ("Gestern und heute", 1938), über die Polen ("Feuertaufe", 1940) und schließlich auch in einem 1940 gestarteten Werk des Filmfunktionärs Fritz Hippler über den "Ewigen Juden".

Dieser "vielleicht übelste Film, der je gedreht worden ist" (so die schwedischen Filmhistoriker Leif Furhammar und Folke Isaksson) – er wurde zur "Egmont"-Ouvertüre uraufgeführt –, setzt in gestellten Getto-Bildern aus Warschau und Steckbrief-Photos die Juden mit Ratten gleich und kulminiert in drastischen Sequenzen von Tierschächtungen, vor denen "empfindsame Gemüter" sogar in Zeitungsanzeigen der Reichspropagandaleitung gewarnt wurden: "Der Film läuft … in verschiedenen Fassungen. Frauen ist der Zutritt nur zu der (gekürzten) Vorstellung um 16 Uhr gestattet."

So viel Heimtücke wollten und konnten die Nazi-Gegner in den USA nicht überbieten. Zwar aktivierten sie einige ihrer besten Hollywood-Regisseure, darunter John Ford ("The Battie of Midway", 1942), John Huston ("San Pietro", 1944), William Wyler ("Memphis Belle", 1944), Frank Capra und Anatole Litvak ("Why We Fight"), zum Kriegsdienst mit der Kamera. Doch deren Reportagen vom Luft- und Erdkampf beziffern im Gegensatz zur Nazi-Konkurrenz nach einer gewonnenen Schlacht oft auch die eigenen Verluste – Hitlers Operateure filmten zumeist nur die Leichen des Feindes.

Selbst wenn sich die Amerikaner aufs Heucheln versteiften, blieben sie vergleichsweise fair: In dem aus Dokumentar- und Atelierszenen gemixten Werbe-Pamphlet "The Negro Soldier" (1944) – es sollte die sonst diskriminierten Mitbürger anderer Rasse zum Krieg rufen – gibt es noch realistische Szenen vom Drill in der Kaserne.

Wieder übertrafen die Deutschen durch Bigotterie und extreme Unmenschlichkeit jedes Vorbild der einschlägigen Filmgeschichte: "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt", so hieß ein 1944 im KZ Theresienstadt gedrehter Kurzfilm, der den von jeder möglichen Gegen-Information abgeschnittenen Volksgenossen (und einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes) weismachen sollte, die Juden lebten dort in einer paradiesischen Enklave. Nach Schluß der Dreharbeiten wurden die Mitwirkenden bis auf wenige Ausnahmen nach Auschwitz deportiert.

Angesichts dieser schwärzesten Episode im deutschen Filmgewerbe konnten sich die Nazi-Propagandisten kaum noch darauf berufen, daß sie der Filmgeschichte ein Meisterstück beigesteuert haben, das auch heute noch von Cinéasten bewundert wird: "Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl.

Dieser virtuos gedrehte und geschnittene Film vom Nürnberger "Reichsparteitag" 1934 (Leni Riefenstahl 1968: "Mein größter Film") vom Auf- und Durch- und Vorbeimarsch ungezählter führertreuer Hundertschaften, ist mittlerweile nur noch als Arsenal für die einstige Gegen-Propaganda politisch bedeutsam.

Ganz so wie die Nazis US-Wochenschauen plünderten, um mit Originalphotos, aber neuem Kommentar die sozialen Mißstände "Rund um die Freiheitsstatue" (1942) zu attackieren, bedienten sich Briten, Russen und Amerikaner bei Leni Riefenstahl.

Kaum ein Filmemacher hat es versäumt, die Aufnahmen von Hitler, SS-Führer Heydrich und SA-Chef Lutze auf ihrem Weg zur Totenehrung vor 21 000 gesenkten Hakenkreuzstandarten zu zitieren. Findige Propagandisten wie Robert Neumann (Idee) und Dylan Thomas (Regie) nutzten "Triumph"-Stücke im Jahre 1943 zur Travestie:

Kurz-Reden der Parteigewaltigen Heß, Ley, Goebbels, Todt und Rosenberg unterlegten sie im Film "These are the Men" mit neuem Text: Hitler etwa bekennt in charismatischer Pose, "nur ein mäßiger Kunstmaler" zu sein.

Vollends überzeugt davon, dem Regime durch Spott zu schaden, verschnitt der Brite Charles Ridley 1941 den Partei-"Triumph" zu einem Zwei-Minuten-Trick: In präziser Rücklauf-, Zeitraffer- und Wiederholungsmontage ließ er Hitlers geschniegelte Kohorten zum Takt des "Lambeth Walk" (Filmtitel) wie bei einer Springprozession hüpfen.

Derart subtilen Gags zum Trotz blieb "die deutsche Filmpropaganda zwischen 1933 und 1945 den Propagandafilmen der meisten anderen Staaten" – so der Wiener Kritiker Friedrich Geyrhofer – "an Wirkung überlegen": Sie war imstande, Emotionen nicht nur zu wecken, sondern auch zu steuern.

Ein Propagandafilm der US-Army machte dieser Selbstherrlichkeit ein Ende: "Die Todesmühlen" (1945), eine Dokumentation über die Befreiung deutscher Konzentrationslager, denunzierte die NS-Propaganda mit einem realistischen Bild ihrer grausigen Folgen. Um die nächste Lebensmittelkarte zu erhalten, so hatten es die Besatzungsmächte mancherorts verfügt, mußte jeder erwachsene Deutsche den Film zwangsweise besichtigen.

DER SPIEGEL 15/1972