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Die Grenzen der Solidarität. Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation und Religion (Repost)

Posted By: nebulae
Die Grenzen der Solidarität. Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation und Religion (Repost)

Gret Haller, "Die Grenzen der Solidarität. Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation und Religion"
2011 (2002) | ISBN: 3351025378 | 250 pages | epub + mobi | 2,2 + 0,5 MB

Neue Zürcher Zeitung
Amerika und Europa
– Freunde für immer? Gret Haller über Differenzen im Staatsverständnis
Von 1996 bis 2000 war Gret Haller als Ombudsfrau für Menschenrechte des Staates Bosnien und Herzegowina tätig. Die Aufgabe der von der OSZE gewählten Juristin und Politikerin bestand darin, Beschwerden zu beurteilen. Bei ihrer Aufbauarbeit merkte die ehemalige schweizerische Nationalrätin: Nicht zuletzt die unterschiedlichen Auffassungen, die Amerikaner und Westeuropäer von einem funktionierenden Bund haben, behindern das Entstehen einer staatsbürgerlichen Identität auf dem gerade erst befriedeten Balkan. Nach ihrer Zeit in Sarajewo ging Haller den transatlantischen Differenzen systematisch auf den Grund. Und sie schrieb das Buch «Die Grenzen der Solidarität». Dayton und der Anti-Terror-Krieg Grösstenteils mit Verweis auf sekundäre Quellen referiert die Autorin Details jener Momente, die Europa trotz zahlreichen Übereinstimmungen von den USA abgrenzen. Während etwa der Westfälische Frieden 1648 entschied, die Religion dem Staat unterzuordnen, war es just die Konfession, die alle anderen Eigenschaften der Auswanderer in «God's own country» dominierte. Derweil das Individuum diesseits des Atlantiks allein schon durch seine Existenz der Gesellschaft angehört, ist in den Vereinigten Staaten ein Bekenntnis zu den nationalen Werten nötig, um als wahrer Amerikaner akzeptiert zu sein. Führt in Europa die politische Diskussion zu Mehrheiten, soll das Zusammenwirken der Minderheiten in der Politik der USA das Entstehen von Majoritäten vermeiden. Während auf dem alten Kontinent die Ethik als in die Gesetzgebung eingeflossen gilt, werden in Amerika, wo das Strafrecht das Element der Rache sehr betont, Moralvorstellungen öffentlich, vor Gericht diskutiert. Und schliesslich machte erst ein Souveränitätsverzicht, für Amerikaner per se ein Akt der Schwäche, die Einigung Europas möglich. Hallers Leistung besteht erstens darin, anhand dieser und anderer Kontraste zu erklären, warum das Abkommen von Dayton (1995), das die USA durchsetzten und in Bosnien – als treibende Kraft einer internationalen Gemeinschaft – umzusetzen versuchten, nicht anders werden konnte und warum es ausgesprochen fehlerhaft sei: Zum Beispiel verhindere die ethnisierende Grundstruktur des Gesamtgebildes Bosnien und Herzegowina, die an das von Konkurrenz geprägte System in Übersee anknüpft, das Bemühen um multiethnisches Miteinander. Zweitens und vor allem liefert Haller eine Folie, die Positionen und Verhaltensweisen Amerikas und Europas nach dem 11. September 2001 verständlicher macht. So erscheint die wachsende Präsenz der US-Flagge in der Neuen Welt, in diesen Breiten häufig als unnötig und übertrieben betrachtet, als Ausfluss des traditionellen aktiven Zuspruches zum Land. Und so geht ein eventueller militärischer Alleingang der USA – in Europa ein Verstoss gegen das Gebot kollektiven Handelns – mit der Überzeugung konform, es sei gut, übergeordneten Instanzen möglichst wenig Macht zu geben. Angstbilder Ihre Gedanken präsentiert Gret Haller meist stringent, sieht man von manchem Begriffsjonglieren und Verklausulieren nebst allerlei Redundanzen ab. Und bloss selten stört ein dozierender Ton. Obwohl die Menschenrechtlerin nicht müde wird herauszustellen, wie sehr sie interkontinental vermitteln wolle, und der Band wechselseitige Toleranz propagiert, nehmen die antiamerikanischen Spitzen im Laufe der Darstellung zu. Europa, das nach Ende des Kalten Krieges «zum natürlichen Gegenspieler der Vereinigten Staaten geworden» sei, hält die (sozialdemokratische) Verfasserin mitunter für massiv bedroht: «Insoweit eine US-Amerikanisierung Europas stattfindet und insoweit diese auf eine Ideologie der Entstaatlichung hinausläuft, tangiert sie längerfristig nicht nur das europäische Freiheitsverständnis, sondern auch die europäische Friedensordnung.» Den limitierten Charakter der transatlantischen Beziehungen, den Haller feststellt, deutet freilich bereits der Titel der Publikation an. Und das vorangestellte Motto – Kants Appell, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen – hebt gewiss auf das oft mangelnde Selbstbewusstsein europäischer Politik ab, das im Gegensatz steht zum grossen Durchsetzungsvermögen amerikanischer Initiativen. An Plausibilität gewinnt die Studie, wenn die Politikerin theoretische Konstrukte mit ihren praktischen Erfahrungen in Bosnien und Herzegowina untermauert. Und immer da wird es problematisch, wo das Wissen über die USA offensichtlich einzig dem Schrifttum entnommen ist, und zwar jenem, in dem ein virulentes Thema des Landes, der viele Bereiche bestimmende Rassismus, unter den Teppich gekehrt wird. Im Ganzen schlägt Haller mit ihrem Buch gleichwohl eine breite Schneise in das Dickicht, in dem aktuelle Diskussionen im Westen, unter anderem zum Thema Irak, stecken zu bleiben drohen. Thomas Leuchtenmüller
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